Lange habe ich es versäumt, in einem Museum nicht nur den Exponaten meine Aufmerksamkeit zu schenken, sondern mir auch die äußere Gestaltung des Gebäudes anzuschauen. Wahrscheinlich geht es den meisten so. Erst vor kurzem wurden mir bei einem Besuch in Lille die Augen geöffnet, dass sich eine Umrundung lohnen kann. Nicht selten ist Architekten etwas Besonderes eingefallen, um einmal einem Museum etwas Einladendes zu verleihen, andererseits etwas für die Bewahrung der Kunstwerke zu tun.
Als ich das LaM in Lille besuchte – ein Museum für moderne Kunst, zeitgenössische Kunst und Art brut — fiel mir auf, dass das Haus aus zwei Flügeln mit unterschiedlichen Fassaden bestand. Der linke wurde in den 1970er-Jahren gebaut, der rechte Flügel wurde erst 2009 in völlig neuem Stil errichtet. Der rote Backstein des linkes Flügels bildet einen Kontrast zum weiß gestrichenen Beton des rechten. Der Architekt des linken Flügels könnte ein Kubismus-Adept sein, während der rechte Flügel deutlich an den mozarabischen Stil erinnert. Der Spanien-Kenner sieht, dass die Wände mittelalterlichen Kirchen in Asturien und Galizien ähneln, die maurische Gestaltungselemente übernommen haben. Diese Bauweise wirkt in Nordfrankreich fremd. Tagsüber fallen Lichtflecken in das Gebäudeinnere. Wenn das Licht nachts eingeschaltet wird, leuchten die Wände fast wie magische Laternen nach außen. Der aufgebrochene Beton nimmt dem Gebäude das Brutale.
LAM außerhalb von Lille
Seitdem interessiert mich nicht nur bei Museen, sondern auch bei vielen anderen Gebäuden die Gestaltung und die Einbindung in die Umgebung. Wird dem Bürger und dem Reisenden eine angenehme Aufenthaltsqualität geboten? Oft denken Städte bei neuen Gebäuden nur an den Konsum.
Was derzeit in Madrid in der Museumsszene abgeht, findest Du in einem neuen Artikel der Neuen Zürcher Zeitung. Dort streiten die Bürger unter anderem über die Gestaltung des Prado. Viel Freude beim Lesen.
Neulich habe ich eine spannende Verfilmung über Maximilian von Österreich und Maria von Burgund gesehen. Ich dachte nur, das gibt es doch nicht, denn ich besichtigte vor einiger Zeit eine Kapelle in Lille, in der Maria gebetet haben soll. Und zurzeit befasse ich mich durch die portugiesische Geschichte viel mit Marias Zeit, also mit dem 16. Jahrhundert, da es von Portugals Zeit als Weltmacht viele schöne Dinge zu sehen gibt.
Diese schlichte Kapelle befindet sich heute im Rathaus von Lille, zu Marias Zeiten eine der reichsten Städte Europas. Hochgekommen waren die Bürger durch Tuchhandel. Noch heute ist Tuch aus Flandern in Adelssitzen zu finden in Form von prachtvollen Wandteppichen und eingewebten Bildern adeligen und religiösen Lebens.
Unter den damaligen Herrschern war Burgund sehr begehrt und Maria eine gute Partie. Frankreich und Österreich führten daher sogar Krieg gegeneinander. Die schöne und sehr gebildete Frau hatte sich nämlich für Maximilian entscheiden müssen, den sie für grob hielt. Sie schickte eine Hofdame nach Wien, um ihn erst zu prüfen. Roch er wirklich so schlecht wie gesagt wurde? Speiste er auch so unkultiviert, indem er die Gabel mit den Zinken nach unten in den Mund führte? Wäre beides erfüllt gewesen, hätte ihm die Zofe nicht das Bildnis mit ihrem Anlitz überreichen dürfen.
Aber die Ehe mit dem letzten Ritter lief auch viel harmonischer als erwartet. Leider fiel sie auf einer Jagd vom Pferd. Es war leichtsinnig, während einer Schwangerschaft so wild zu reiten. Sie starb einige Tage später an den Folgen. Aus der Zeit übrig geblieben sind prächtige Bürgerhäuser im Zentrum Lilles und erstaunlich gute Kunst im Stadtkern und im Umland. Ein Reporter des Kuriers in Wien war jetzt in Lille, vergleicht sie mit Brügge. Und auch ich schrieb darüber für “Die Presse” in Wien. Viel Spaß beim Schmökern.
Auf Platz 4 landet Münster im NRW-Kulturstädtevergleich. Was passiert also aktuell in Essen, immerhin europäische Kulturhauptstadt 2010? Münster stand 2010 im Finale dieses Wettbewerbes. Zahlt sich das Kulturjahr etwa nicht aus? Denn vor Münster liegen nur Bonn, Düsseldorf und Köln.
Langfristig wird Münster auch diese Städte überholen, wenn zum Beispiel die neue Matisse-Sammlung in einem eigenen Museum gezeigt wird. Als Standort gefiele mir das schöne Gebäude der ehemaligen JVA. In der dänischen Kleinstadt Horsens wird im ehemaligen Gefängnis die Geschichte des Hauses und die Biografie einiger prominenter Insassen etwa während der Besatzungszeit gezeigt. Sehr beliebt ist es auch, dort zum Übernachten eine Gefängniszelle zu mieten.
Das ehemalige Postgebäude am Hafen wird zurzeit leider abgerissen. Lille, Kulturhauptstadt 2004, hat das alte Postgebäude erhalten und in eine erfolgreiche Kunsthalle für moderne Kunst umgewandelt.
Als Gründe für das erfolgreiche Abschneiden zieht die Jury des Welt-Wirtschaftsinstitutes und der Privatbank Berenberg das kulturelle Angebot an Opernhäusern, Theatern, Museen und Kinos sowie die Nachfrage durch Einwohner und Besucher heran. Untersucht wurden die 30 größten deutschen Städte. Deutschlandweiter Spitzenreiter ist Stuttgart. Weitere Infos in der heutigen Ausgabe der Westfälischen Nachrichten.
Erinnerungslinde für Gefallene: In die gleiche Richtung weist eine Tafel im Teutoburger Wald am dortigen Soldatenfriedhof im Brumleytal. Der Hermannsweg führt Wanderer nahe daran vorbei bis ins malerische Tecklenburg. Vier Wochen vor Kriegsende findet hier am 3. April 1945 ein Kampf zwischen englischen und deutschen Soldaten statt. 114 Briten und 43 Deutsche fielen. „Nie sollst du vergessen, wie teuflisch vermessen ein Krieg immer ist.“ Diesen Satz hat der Riesenbecker Heimatforscher Johannes Oechtering verfasst. Es ist wohl die einzige Inschrift auf einer Tafel im Münsterland, in der der Krieg verurteilt wird.
In Wormbach nahe Schmallenberg im Sauerland ist der Versuch einer Sinngebung des Soldatentodes völlig aufgegeben. Auf dem an der alten Kirche St. Peter und Paul liegenden Friedhof gewannen die während des Dreißigjährigen Krieges gepflanzten Linden besondere Bedeutung.
Denn Pfarrer August Rüsing ordnete, bevor der Zweite Weltkrieg ausbrach, jeder Familie des Ortes eine Linde zu. Den jungen Männer versprach er: „Solltet Ihr im Krieg in fremden Landen fallen, so wird ein Kreuz mit eurem Namen zur Erinnerung an eure Linde gehängt.“ Wie das wohl gewirkt hat! Bis heute hängen 36 Kreuze an den Linden des Wormbacher Kirchhofs. Kein Gedenkstein ist zu sehen, kein Sinngebungsversuch erfolgt. Die Sprache verstummt vor jeder Erinnerungslinde für gefallene Soldaten.
Bewachte Gräber statt Erinnerungslinde für Gefallene
Zurück nach Nordfrankreich: Eine Erinnerungslinde für gefallene Soldaten gibt es dort nicht. Stattdessen müssen auf dem Friedhof Notre-Dame-de-Lorette bei Ablaint-Saint-Nazaire im Raum Lille freiwillige „Veteranen“ die Gräber von Gefallenen des Ersten Weltkriegs bewachen. Denn es haben bereits Grabschändungen stattgefunden. Es gibt hier ein muslimisches Gräberfeld mit 576 Gräbern. Die Soldaten aus den französischen Kolonien, oft aus Marokko geholt, sind nach muslimischem Ritus bestattet. Dabei erwartet man an sich, Totenruhe gelte religionsübergreifend. Das Tor zu diesem Friedhof wird aber abends geschlossen.
Größtes Lager für Kriegsgefangene: Zum Vergleich nach Deutschland, um zu sehen, wie man dort während des Krieges und danach Friedhöfe und Denkmäler gestaltete: In Nienberge nahe Münster befand sich während des Ersten Weltkrieges das größte Gefangenenlager Nordwestdeutschlands, heute als Haus Spital bekannt. Nur vereinzelt kommen Besucher. Einsam liegt die im Volksmund „Russenfriedhof“ genannte Kriegsgräberstätte, umgeben von Platanen und heimischen Laubbäumen. „Requiescant in pace“ — „Sie mögen ruhen in Frieden“ — steht am doppelflügeligen Eingangstor. Auch die griechischen Buchstaben Alpha und Omega, Anfang und Ende, sind zu sehen. Christus steht an Anfang und Ende allen Seins, umfasst also die Weltgeschichte. Alles ruht in Gottes Hand. Von deutschen Soldaten bewacht, ordneten Gefangene aus England, Russland, Belgien, Italien und Frankreich ihre Angelegenheiten selbst, alle Berufe waren vertreten.
Für die Kranken wurde ein Lazarett eingerichtet, für die Toten ein eigener Friedhof. 770 Namen französischer, belgischer und russischer Kriegsgefangener sind auf einer Gedenksäule und auf Tafeln eingemeißelt. Franzosen, Belgier, Engländer und Italiener wurden umgebettet, jetzt liegen hier noch Russen, Polen, Ukrainer, Wolgadeutsche und ein indischer Stammesfürst. In Zusammenarbeit mit dem Lagerkommandanten gestaltete der Architekt Duthoit die Anlage. Er stammte aus Lille. Er entwarf selbst Form und Beschriftung jedes Einzelteils. Dafür standen ihm die Steinmetze und Schmiede unter den Gefangenen zur Verfügung. Auf einem Gedenkstein steht „Pro Patria“.
Erinnerungstourismus gibt es nicht. Aber die katholische Gemeinde St. Sebastian gedenkt der Gestorbenen an den Totengedenktagen im November.
„Den Toten zur Ehre“
Ganz in der Nähe steht an der Dorfkirche St. Sebastian in Nienberge bei Münster ein künstlerisch wertvolles Kriegerdenkmal. Selten bleibt jemand hier stehen. Nur am Volkstrauertag (immer zwei Sonntage vor dem ersten Adventssonntag) gedenkt die Soldatenkameradschaft der Gefallenen beider Weltkriege.
Dargestellt ist ein Genius. Er ist mit einer Hand gefesselt an einem seiner Krone beraubten Eichbaum. Er beugt sich gramvoll zu einem toten Soldaten in deutscher Uniform nieder. Die andere freie Hand streckt er ihm entgegen. Neben dem Soldaten liegt ein Stahlhelm. Unter ihm ist Munition zu sehen. Den Tornister trägt er noch auf dem Rücken. Die Inschrift des 1921 errichteten Denkmals lautet in großen Lettern: „Den Toten zur Ehre, den Lebenden zur Mahnung“.
Niemand ruft mit diesem Monument auf, politisch zu handeln. Der Genius kommt von links wie der Engel der Verkündigung auf mittelalterlichen Darstellungen. Die Mahnung liegt sowohl im gefesselten Genius als auch in der gekürzten Eiche — bildhafte Symbole für das damalige Deutschland um 1921. Keiner wusste kurz nach Gründung der Weimarer Republik und dem Diktat des Versailler Vertrages, wie es weitergehen sollte. Der Genius ist nicht religiös gebunden. Er steht über allen Dingen und ist unparteiisch. Auch Linden waren symbolisch im Krieg.
Kriegsorte in Frankreich besuchen: Als der Reisende zur Pressereise „Wege der Erinnerung 1914 — 1918“ eingeladen wurde, fühlte er sich hin- und hergerissen. Das Programm versprach nur Beklemmendes. Denn es sollte drei Tage lang über Soldatenfriedhöfe, durch Museen und zu Schauplätzen des Ersten Weltkrieges gehen. Für Militärgeschichte interessierte er sich aber während seines Geschichtsstudiums nie. Es gibt Spezialisten, die sich ungewöhnlich gut mit Heeresbewegungen, Waffen, Militärfahrzeugen auskennen und nahezu jedes Datum der Schlachten aufzählen können. Warum auch immer!
Auf Flohmärkten gibt es Bücher über Generäle, Panzerdivisionen und Kriegsschiffe. Nur einmal kaufte er sich solch ein Werk, weil ihm ein befreundeter Fotograf in der Nähe von Tromsø die Stelle zeigte, an der das Wrack der Tirpitz liegt, Hitlers Lieblingsschiff. Britische Bomber versenkten das Schiff in Nordnorwegen. Es war beklemmend, zum Beispiel Uniformteile in einem Museum zu sehen, die einst deutschen Seeleuten gehört hatten.
Kriegsorten bieten spannende Geschichten
Er kennt auch Gibraltar im Süden Spaniens. Der heutige Affenfelsen nahm einst eine wichtige strategische Stellung zur Kontrolle des Mittelmeeres ein. Bis heute erinnert er sich gerne an den britischen Kriegsveteranen, der ihm erzählte, dass er einst auf Gibraltar als Pilot gearbeitet habe. Deutsche hätten sein Flugzeug abgeschossen. Oder an den Bericht des Kapitäns: Dieser zeigte Delfine und erzählte dabei, wie spannend ein Roman über britische und deutsche Spione in der Bucht am Felsen gewesen sei. Geschichte aus anderer Perspektive.
Die dort gemachten Erfahrungen verlocken den Reisenden nun wieder loszufahren, um Kriegsschauplätze in Frankreich zu besuchen. Er will das mit eigenen Augen sehen, was er nur aus den Geschichtsbüchern kennt. Er will mit Menschen sprechen, die dort leben. Und er wird später solche Besuche nachbereiten, indem er Literatur darüber liest. Die Reaktion, der Besuch solcher Stätten sei langweilig, kann er nicht nachvollziehen. Angesichts hoher Besucherzahlen auf Soldatenfriedhöfen und an anderen Stätten — Erinnerungstourismus — steht er mit dieser Meinung nicht allein. Denn solche Stätten hängen oft mit der deutschen Geschichte zusammen.
Die Folgen solcher Kriege, das Leiden der Menschen, die Nutzlosigkeit, dürfen nie in Vergessenheit geraten. Die Ursachen für Konflikte müssen untersucht, Lösungen zur Vermeidung gefunden werden. Denn hinter spannenden Geschichten von Zeitzeugen steckt oft großes Elend.
Erinnerungstourismus in Nordfrankreich
Scharen von Touristen – vorwiegend aus Australien und Kanada – rollen täglich vor die Friedhöfe für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges in Nordfrankreich. Sie nehmen dafür über 20-stündige Flüge von Sydney oder Vancouver nach Paris in Kauf. Auch viele Briten sind unter den Besuchern. Was suchen all diese Menschen in der Region Nord-Pas-de-Calais, fast hundert Jahre nach dem Kriegsgeschehen? Sind sie in den Sog des Erinnerungstourismus geraten? Oder wollen sie einfach nur Kriegsorte in Frankreich besuchen?
Rathaus von Arras
Rettung eines Soldaten
Australisches Bunkerdenkmal im Australien Memorial Park Fromelles nahe Arras.
Zur Stärkung vor der Tour empfiehlt sich in Lille erst einmal der Besuch der Brauerei Les 3 brasseurs in der Nähe des Hauptbahnhofes. Dort gibt es deftiges Essen. Viele trinken hier Bier, was zu Lille traditionell gehört. Mir serviert man Rindfleisch mit Pommes Frittes. Fritten sind typisch hier. Belgien ist nahe. Das Rindfleisch besteht aus einzelnen Stücken, die zu einem saftigen Stück zusammengefügt sind. Als Dessert kommt Eis mit Spekulatius auf den Tisch. Es gebe nahe Lille eine große Spekulatius-Fabrik, erklärt man uns. Daher gehörten Spekulatius immer zum Essen. Dann geht es nach Arras.
Ehrenmal in Fromelles
Viele Touristen strömen in der Nähe von Arras zu einem neuen australischen Ehrenmal von 1998 in Fromelles. Hier verlief längere Zeit die Westfront. Australien musste am 23. August 1914 gemeinsam mit den anderen Dominions Kanada, Südafrika und Neuseeland sowie mit der Kolonie Britisch-Indien in den Krieg eintreten. Das Denkmal zeigt einen breitbeinig gehenden Soldaten mit gebeugtem Kopf, der einen toten Kameraden auf seinen Schultern schleppt. Er steht für 5.000 Australier, die hier in einem über 24 Stunden dauernden Kampf gegen die Deutschen im Jahre 1916 ihr Leben verloren. Für viele Australier ist dies bis heute eines der schlimmsten Ereignisse ihrer Geschichte. Die Männer wurden von Maschinengewehrsalven…
Orientalischer Herrscher mit Minaretten auf dem Kopf
Le Bal des Quat’z’arts descendant les Champs-Elysées
Umzugswagen wie an Karneval
Umzugswagen wie an Karneval
Umzug in den Straßen
Ein King Kong ähnlicher Gorilla
Godzilla steigt am Bahnhof Gare Lille Flandres in die Luft. Bietet der dort startende große Umzug Einblicke ins amerikanische Kino?
Karibe mit Federbusch
Renaissance-Fest auf der Grand Place: Nach Lille lockt den Reisenden einerseits die Aussicht mit dem Renaissance-Fest auf der Grand Place, die Kulturhauptstadt 2004 mit anderen Kulturhauptstädten zu vergleichen. Die in Västerbotten liegende Stadt Umeå ist seit 2010 schwedische Kulturhauptstadt. Aarhus in Mitteljütland setzt diese Reihe in Dänemark 2018 fort. Beide Städte kennt der Reisende gut. Denn er reist regelmäßig durch Skandinavien.
Andererseits wird sich dort vor 500.000 Besuchern ein Renaissance-Fest auf der Grand Place abspielen. Dieses findet fast jedes Jahr statt, selbst aktuell in Zeiten der Corona-Pandemie. Erst kurz davor ist der Reisende mit dem Fahrrad von Bonn aus aufgebrochen, um auf 1.100 Kilometern nicht nur den Niederrhein und den südlichen Teutoburger Wald anzuschauen. Er wollte sich auch von der Weser-Renaissance inspirieren lassen. Hervorragende architektonische Perlen aus dem 15. und 16. Jahrhundert sind zum Beispiel das Bremer Rathaus, das Schloss Hämelschenburg vor sowie das Rattenfängerhaus in Hameln. Renaissance hat ihn also ziemlich inspiriert.
Spannung aufs Renaissance-Fest auf der Grand Place
Werden die aus Rio, Detroit und Seoul angereisten Akteure historische Gewänder tragen? Durchströmt Musik aus dieser Zeit die Stadt? Dort sind auch noch Häuser aus Renaissance und Barock erhalten. Wird aus Literatur des Renaissance zitiert? Etwa aus Theaterstücken des berühmten portugiesischen Dramatikers Gil Vicente? Vicente ist auch Franzosen gut bekannt. Portugiesische Einwanderer haben ihn in Frankreich eingeführt. Viele seiner Stücke wurden ins Französische übersetzt.
Angekündigt ist eine Transformation der historischen Renaissance in die heutige Zeit. Hier nun einige Beispiele vom Renaissance-Fest auf der Gand Place. Die entsprechenden Fotos sind oben in der Diashow zu sehen:
Hier folgt nun ein Ausschnitt aus dem dem Renaissance-Fest auf dem Grand Place: Godzilla steigt am Bahnhof Gare Lille Flandres in die Luft. Bietet der dort startende große Umzug Einblicke ins amerikanische Kino? Weitere Giganten beleben das Stadtbild: hier ein orientalischer Herrscher mit Minaretten auf dem Kopf. Dort zieht ein Karibe mit Federbusch durch die Straßen. Ihm folgt ein King Kong ähnlicher Gorilla. Die Grand Place bietet also reichlich Gelegenheit für ein Foto-Shooting.
Fast wie „Le Bal des Quat’z’arts descendant les Champs-Elysées“
Die Szenerie erinnert an das im Palais des Beaux-Arts hängende Gemälde „Le Bal des Quat’z’arts descendant les Champs-Elysées“. George-Antoine Rochegrasse stellt darauf das Künstlerfest von 1894 auf den Champs-Elysées in Paris dar. Fröhliche Menschen aus fast allen Erdteilen der Welt und aus unterschiedlichen Epochen sind darauf abgebildet. Die 1890-er Jahre bilden den Höhepunkt des französischen Imperialismus. Frankreich erobert große Gebiete in Afrika und Asien und kann damit England die Stirn bieten. Das Bild kann man als Propagandabild deuten. Nach dem deutschen Sieg von 1870/71 hat Frankreich eine neue Identität gefunden. Es kann seinen Nationalstolz in neuer Identität als Republik und Kolonialmacht behaupten.
Aus der Vogelperspektive sind die zusammenlaufenden Straßen gut zu sehen. Hierdurch ziehen in der Dunkelheit die ersten Wagen. Die begleitende Musik erinnern an den Karneval von Rio. Eine Lasershow hüllt Tänzer und Musiker in unwirkliche Farben.
Aber mit einer Transformation von der Renaissance in die Moderne hat dies wenig zu tun. Oder?
Unter diesem Eindruck führt der Weg ins urige Restaurant “Au barbue d’Anvers”. Dort kann jeder dem Rummel gut entgehen, um sich in Ruhe auf einen weiteren Kulturtag in Lille vorzubereiten.
Abenteuer Museum: LaM in Lille. In gut vier Wochen beginnt die Fußball-Europameisterschaft in Frankreich. Seit gut zwei Wochen stelle der Reisende daher die Stadt Lille in Nordfrankreich vor. Dort gastiert die deutsche Nationalmannschaft.
Als der Reisende heute morgen das Fernseh-Programm nach spannenden Beiträgen durchforstete, dachte er: Das ist nicht möglich. Vor einigen Tagen noch bot er verschiedenen Print-Medien eine große Reportage an über die spannende Art der Nordfranzosen, Kunst darzustellen. Den Kunsthallen in Flandern ist die Handschrift der Gestalter der Kulturhauptstadt 2004 anzusehen. Dagegen kommt die Darbietung von Kunst in Paris geradezu verstaubt daher und mittlerweile auch manches Gebäude wie zum Beispiel das Centre Pompidou.
LaM in Lille ist ein echtes Schmuckstück
Der Fernsehsender arte stellt jetzt in Abenteuer Museum ein echtes Schmuckstück unter den Museen Lilles vor: das „Lille Métropole Musée d’art moderne“ (LaM). Dass es ein Juwel ist, liegt schon daran, dass es in einer von Wiesen und Wald umsäumten Parklandschaft bei Villeneuve-d’Ascq liegt. Es gibt nicht viele französische Museen dieses Typs. Denn die meisten liegen in den Stadtzentren. Auch die Architektur des Gebäudes ist in Frankreich etwas Neuartiges. Wie der Reisende an der Beschreibung des Beitrags gesehen hat, werden die Autoren wohl darauf eingehen. Innen wartet vor allem moderne Kunst auf die Besucher. Nicht nur Gemälde, sondern auch Skulpturen und audiovisuelle Medien gibt es zu bestaunen. Ganz in der Nähe des LaM liegt gar ein im art-déco errichtetes Schwimmbad. Schwimmer wird man dort nicht mehr finden, dafür aber den Zeitgeist des ersten Drittels des 20.Jahrhunderts.
Arte zeigt am kommenden Sonntag,
15. Mai, 17:35–18:30 Uhr
Abenteuer Museum
Das LaM in Lille
Durchstreifen & Erleben ist gespannt auf den Film. Wer es gar nicht erwarten kann, kann vorab den Artikel “Provinz-Industriestadt schlägt Hauptstadt” in der in Wien erscheinenden Zeitung “Die Presse” lesen. Dort stellt der Reisende wichtige Bestandteile der Kunst-Szene Lilles in Wort und Bild vor.
Am Grand Place gibt es einen schönen Innenhof, in dem täglich auf einem Flohmarkt Bücher, Zeitschriften und Schallplatten verkauft werden. An zwei Tischen spielen Männer Schach. Solche Szenen mag ich gerne.
Während meines Erasmus-Studium in Barcelona bin ich oft in ein Café in der Nähe der Universität gegangen, wo die Leute Schach und Domino gespielt haben. Solche Cafés sind eine gute Möglichkeit, Land und Leute kennen zu lernen.
Hinter dem Innenhof beginnt die Geschäftswelt. Es ist gar nicht so lange her, dass die Altstadt renoviert wurde. „Als die Altstadt attraktiv wurde, zogen Luxusgeschäfte in die Rue de la Monnaie.“ Wie Anne erklärt, gebe es mit der Rue de la Monnaie und der Rue de la Grande- Chaussée zwei Haupteinkaufsstraßen. „20 Prozent der Kunden kommen aus Belgien der Mode wegen“, erzählt Anne. „Belgische Frauen sagen: Was ich haben will, finde ich in Lille.“
In den Geschäften finden sich daher auf Belgierinnen zugeschnittene Kleider. Aber jeder dritte Laden scheint auch ein Schuhgeschäft zu sein. „Die Geschäfte sind ein bisschen teuer, aber gut.“ Die Miete sei hoch hier. Ihre Tochter zahle für 50 Quadratmeter 800 Euro. Dies hänge mit der hohen Nachfrage nach Wohnraum zusammen.
Bei solchen Mieten muss mancher sich das Leben versüßen.Entweder beim Feinkosthändler mit einem in Jugendstil ausgestatteten Geschäft oder mit „Cramique de sucre“, ein süßes Brot mit einer zarten braunen und mit Zucker überzogenen Kruste; es enthält Rosinen. In einer Bäckerei kosten 500 Gramm stolze 6,60 Euro.
Nach dem Besuch der Bäckerei und der Verköstigung mit Cramique du Sucre in der Geschäftszone Lilles in Flandern führt Anne in ein schönes Textilgeschäft. Dort in der Altstadt zeigt sie uns ein hartes Gewölbe aus Blaustein. „Alle Gebäude in der Altstadt verfügen über solche Keller“, erklärt Anne. Sie seien aus Blaustein erbaut, einem harten Kalkstein, der nicht altere, so dass man auch auf ihm im Gegensatz zu Sandstein laufen könne. Er werde in einer Entfernung von 30 Kilometern in Belgien abgebaut. Das Gewölbe stamme aus dem 17. Jahrhundert, ungefähr zu der Zeit, als Ludwig XIV. Lille belagerte. Der König wollte die durch Tuchhandel reich gewordene Stadt ins Reich eingliedern.
An solch einer Architektur macht Anne deutlich, warum Lille Kulturhauptstadt ist. Denn die alten Häuser fallen nicht der Abrissbirne zum Opfer, wie es auch in Aarhus zu sehen ist. Das Hafenviertel der Kulturhauptstadt 2017 erwacht zu Leben, indem Architekten dort alte Fabrikgebäude renovieren lassen und für junge Unternehmen öffnen. Aber auch eine Strandbar, ein Volleyballfeld und Schwimmmöglichkeiten für die Bürger gibt es seit kurzem. So bleibt der Charakter der Stadt erhalten. Der Tourist wandelt durch die Vergangenheit wie durch hartes Gewölbe aus Blaustein, sieht aber schon die Zukunft.
Ein wenig an die Geschichte der Sagrada Familia in Barcelona erinnert die Baugeschichte der Kathedrale Notre-Dame-de-la-Treille. Mit ihr schließt Anne die Führung durch Lille ab. 1854 begann der Bau der neogotischen Kirche. Erst Weihnachten 1999 wurde er mit einer besonderen Fassade vollendet. „An der Westseite erhebt sich eine Fassade aus leuchtendem portugiesischen Marmor. Sie ist eine Besonderheit, denn durch den Marmor dringt das Licht aus der Welt in die Kirche ein. Wenn die Sonne darauf scheint, fühlt sie sich warm an. Von innen ist sie fast honigfarben. Von außen strahlt sie weiß.
Morgen fährt der Reisende nach Paris. Dort trifft er seine Freundin Alexandra wieder.